Geschichtlicher Hintergrund des Magdeburger Rechts

Der Magdeburger Schöffenstuhl und seine Rechtsauskünfte

Der Schöffenstuhl war ein zentrales Organ der mittelalterlichen Stadtverfassung in Magdeburg. Er gestaltete die Konfliktlösung in zahlreichen Städten im östlichen Europa, und zwar durch seine Spruchtätigkeit.

Das Magdeburger Schöffenkollegium war das älteste Gremium der Stadt; schon in Urkunden aus dem 12. Jahrhundert wurden Schöffen erwähnt. Die Schöffen waren ursprünglich als Zeugen bei Rechtsakten präsent, aber sie waren auch die Rechtsberater in Zweifelsfällen. Ihre ursprüngliche Zahl war fünf, und später gab es elf Schöffen, nämlich ab dem Ende des 12. Jahrhunderts zur Zeit von Erzbischof Wichmann. Sie waren Urteilsfinder unter dem Vorsitz des städtischen Richters, des Schultheißen.

Portrait Dr. iur. habil. Katalin Gönczi
Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
Dr. iur. habil. Katalin Gönczi
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Die Schöffen wurden anfangs aus der vornehmen Schicht der erzbischöflichen Dienstherren gewählt. Sie genossen hohes Ansehen in der Stadt und zählten zu den Patriziern. Die soziale Herkunft der Schöffen änderte sich im Laufe des 13. Jahrhunderts; nun übernahm die Bürgergemeinde die Besetzung des Schöffenstuhls und die Schöffen wurden jetzt aus der Bürgerschaft gewählt.

Das Gremium übte das Recht der Selbstergänzung (Kooptation) aus, wozu die Bestätigung des Stadtherren nötig war. Der Gewählte legte einen Amtseid vor dem Burggrafen ab, der ihn in seine Aufgaben einführte. Für ihre Unabhängigkeit sorgte ihre Wahl auf Lebenszeit. Die Schöffen waren bis zum 16. Jahrhundert Laien; sie hatten keine formale juristische Ausbildung.

An das Magdeburger Schöffenkollegium wurden Anfragen aus auswärtigen Städten, von Gerichten oder gelegentlich von Parteien gerichtet. Daraufhin versandten die Schöffen Rechtsauskünfte, und zwar gegen Gebühr. Es entstand dadurch zwischen Magdeburg und mehreren polnischen und tschechischen Städten ein reger Schriftverkehr; nämlich mit

  • Goldberg/Złotoryja,
  • Breslau/Wrocław,
  • Liegnitz/Legnica,
  • Schweidnitz/Świdnica,
  • Posen/Poznań und
  • Leitmeritz/Litoměřice.

Durch seine Spruchtätigkeit entwickelte der Schöffenstuhl das Stadtrecht weiter – und so wurde das Magdeburger Recht, wie aus den Rechtsauskünften ersichtlich ist, ein rationaler Normenkomplex mit verkehrsfreundlichen Regeln.

Dr. iur. habil. Katalin Gönczi
Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

Literatur

Heiner Lück, Oberhöfe und Schöffenstühle als Anwendungs- und Verbreitungszentren des Magdeburger Rechts, in: Gabriele Köster, Christina Link, Heiner Lück [Hrsg.], Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung „Faszination Stadt“, Dresden 2018, S. 79-99

Heiner Lück, Der Magdeburger Schöffenstuhl als Teil der Magdeburger Stadtverfassung, in: Matthias Puhle [Hrsg.], Hanse – Städte – Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg vom 28. Mai bis 25. August 1996, Bd. 1: Aufsätze, Magdeburg 1996, S. 138-151

Wieland Carls, Rechtsanfragen und Rechtssprüche. Zur Praxis des Rechtsverkehrs mit dem Magdeburger Schöffenstuhl, in: Gabriele Köster, Christina Link, Heiner Lück [Hrsg.], Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung „Faszination Stadt“, Dresden 2018, S. 126-143

Katalin Gönczi, Der Wirkungskreis des Magdeburger Schöffenstuhls im Zeitalter der Reformation und der Rezeption des Römischen Rechts, in: Maren Ballerstedt, Gabriele Köster und Cornelia Poenicke [Hrsg.], Magdeburg und die Reformation, Teil 1: Eine Stadt folgt Martin Luther, Halle (Saale) 2016, S. 261-277